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Abhängen für die Kunst – documenta15 (Teil 2)

Zweieinhalb Tage hatten wir für diese documenta und es hätten ruhig fünf Tage sein können. Auch bei der fünfzehnten Ausgabe der bedeutendsten Kunstschau der Welt gilt: Es gibt wieder eine Menge zu entdecken und (über)denken.

Habe ich mich in meinem ersten Documenta Geschreibsel auf den aktuellen Antisemitismus-Skandal beschränkt, stehen hier noch ein paar Gedanken über die Kunst, die mir auf der documenta15 begegnet ist.

Denn 2022 ist wieder anders. Anders als 2017 als Adam Szymczyk die Schau kuratierte und uns von Athen lernen ließ. Anders als die dOCUMENTA (13), die unter dem Titel Zusammenbruch und Wiederaufbau eine Verbindung nach Afghanistan zog und sowohl Kabul (heute) als auch Kassel (vor 60 Jahren) als Orte zeigte, die vom Krieg gezeichnet wurden, (immer noch) gezeichnet sind.

Und auch anders als 2007 als die Ausstellungsmacher:innen die documenta zur Bildungsinstitution erklärten und den Besucher:innen sagten, dass vieles nicht einfach zu verstehen sein wird, manches auch nicht verstanden sein will.

Jede documenta hat ihr eigenes Verständnis, ihre eigene Theorie von Kunst. Und auch wenn auflagenstarke Kunstzeitungen dies kritisieren und gegen diese schwer eingängigen Kuratoren-Ausstellungen (s.a. aktuelle Ausgabe der Lindinger / Schmid – Kunstzeitung) wettern und auch die antisemitischen Vorwürfe nicht einfach wegzudenken sind, macht es einfach Bock durch die Stadt zu laufen, Kunst zu entdecken, über sie zu diskutieren oder einfach mit einem Fragezeichen über dem Kopf herumzuspazieren.

Was ist also das Kunstverständnis von ruangrupa, dem diesjährigen Kuratorenteam aus Indonesien? Auch ohne Kunstwissenschaften oder Kunstgeschichte studiert zu haben, fällt auf, dass ruangrupa vor allem Kunst-Kollektive, NGOs, soziale Initiativen eingeladen haben, nach Kassel zu kommen. Natürlich finden sich auch wieder Solo- Künstler:innen, aber zum großen Teil sind die realisierten Projekte mehr als einer Autor:in/ Künstler:in zu zusprechen.

Oft treffe ich dieses Jahr in Kassel auf Kunst, die sich einmischt, Fragen stellt, politisch ist. Koloniale Vergangenheit, soziale Gerechtigkeit, Klima sind Themen, auf die ich immer wieder treffe und in den Installationen, Bildern, Filmen, Klangkunstwerken verhandelt werden. Teilweise wirken die Ausstellungsorte wie die Arbeitszimmer von Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Notizzettel, Diagramme, Zeichnungen treffen auf dokumentarische Film- Beiträge, kritische Anklagen.

Das Fridericianum, auf den vergangenen Ausstellungen Mittelpunkt der Schau ist bei der Nummer 15 Schule (Gudskul/ eine dem Wissensaustausch gewidmete Bildungsplattform), Kita (ruru Kids) und Arbeitszimmer für Künstlerinnen und auch (sic!) Besucher:innen. Wenn es so etwas wie ein Zentrum gibt, ist es ein altes Kaufhaus, was zum ruru-Haus umfunktioniert wurde. Das ruru Haus ist Startpunkt, Café und Informationsort und Ort zum Abhängen (lumbung).

Ruangrupa hat die Kollektive auch nicht, wie ihre Vorgänger:innen, gebeten, an neuen Orten wieder neue Kunst zu präsentieren. Lieber sollen sie ihre Kunst, an der sie in ihrer Heimat arbeiten, nach Kassel bringen und hier für das Publikum übersetzen. Nicht immer Neues in die Welt setzen, sehen ruangrupa auch als Teil ihrer Nachhaltigkeitsstrategie (Was ich anders sehe. Kunst zu produzieren, sich auszudrücken, Neues zu produzieren, muss nicht „nicht nachhaltig“ sein).

Nach zweieinhalb Tagen bleiben jedenfalls viele Eindrücke und nicht alle gehören streng zur documenta (in einem Hinterhof habe ich großartige Kunst entdeckt). Ein paar meiner Eindrücke bleiben jetzt auf Fotos und in meinen Erinnerungen zurück.

Ich packe sie in unsere gemeinsame Reisscheune (lumbung) und hänge ganz im Sinne von ruangrupa ein wenig rum, rauche, denke, rede, schreibe.

Das ist doch großartig, diese Kunst.

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