Wenn man keine Meinung hat, sollte man besser den Mund halten, oder? Bei der gegenwärtigen Ausstellung im Kunstverein geht es mir so: Ich habe keine Meinung. Oder anders: Was ich heute denke, ist morgen schon nicht mehr aktuell.
Von vorne: Butchers Coin. Die erste institutionelle Ausstellung von Eliza Ballesteros. Vier Euro kostet der Eintritt momentan im Westfälischen Kunstverein. „Acht Mark“, sagt Mutter immer. Gut, acht Mark. Acht Mark kann man schon machen, denke ich.
Der Mann an der Kasse zeigt auf ein kopiertes Blatt, was auf der Theke neben verschiedenen Kunstkarten ausliegt. „Sie können auch ordentliches Mitglied werden (60 Euro), dann haben sie freien Eintritt“, sagt er. Ich schüttele den Kopf. „Auch im LWL Museum und dazu noch in allen Kunstvereinen in Deutschland.“ Ich muss grinsen, schüttele jedoch immer noch. Er gibt auf und mir die Eintrittskarte und den Saaltext zur Ausstellung. „Na, dann“, sagt er. Ich nicke. „Na dann.“
Ich überfliege den Saaltext, verschaffe ich mir einen Überblick. Die Künstlerin hat verschiedene Objekte im Ausstellungssaal drapiert, ein roter Samtvorhang hängt von der Decke, breitet sich auf dem Boden aus. Überdimensionierte Hundehalsbänder mit Stacheln für haushohe bissige Köter liegen auf dem nackten Boden. Ein Filetiermesser hängt in einem Ledergürtel an der Wand, daneben Kuhglocken (?), Hack Klötze zum Klötze hacken. Im Nebenraum dann ein Gemälde von einem jungen Bauernmädchen. Biedermeyer. 1834. Laut Saaltext von Adolf Schmidt, die erste Anschaffung des Kunstvereins. Das Milchmädchen.
Ballesteros hat sich viel mit Domestizierung auseinandergesetzt, steht im Saaltext. Domestizierung der Tiere. Domestizierung der Frauen. Macht. Herr. Sklave. Opfer. Schlachter. Schlachthaus. BDSM Studio. Begierde. Fetischismus. Das sind Begriffe, die fallen, sich in den Objekten wiederfinden.
Ballesteros möchte mit ihrer Ausstellung Machtstrukturen offenlegen. Sehr gut, denke ich. Wollen wir das nicht alle? Nein, wollen wir nicht alle, beantworte ich mir selber die Frage.
Die Künstlerin erzählt (so verstehe ich es) die Geschichte eines Mädchen, die hier mit ihrer Porzellanhaut im feinsten Zwirn, also Sonntagskleid dargestellt wird. Ohne jede Schramme, dafür mit dem glücklichen Bauernmädchen-Lächeln geht sie ihrer harten Arbeit auf dem Hof nach und abends sitzt sie für den Maler Model. „Quatsch mit Soße“, sagt Ballesteros in ihrer Sprache. Ich nicke. Ja, sehe ich ein, denke ich und verlasse den Kunstverein.
Zuhause gucke ich auf meine geschossenen Fotos, überlege, was ich gesehen habe und merke, dass ich keine Meinung habe. Wenn man keine Meinung hat, sollte man besser den Mund halten, sagt man.
„Aber habe ich wirklich keine Meinung?“, hinterfrage ich mich. Umgehauen hat mich Butchers Coin, die raumgreifende Installation über verborgene und offenliegende Machtstrukturen, nicht. Dabei ist die Ausstellung sehr ästhetisch, fast schon sinnlich. Die einzelnen Objekte sind überhaupt sehr hochwertig produziert. Aber vielleicht ist es gerade das, was mich stört? Heute. 2022. Überall ist Nachhaltigkeit, Thema. Da wirken die großen Einzelausstellungen, in denen für einen kurzen Zeitraum an einem Kunst-Ort Installationen mit unglaublichen Aufwand aufgebaut werden (so etwas wie Olafur Eliasson, The Weather Project), aus der Zeit gefallen.
Butchers Coin schlägt für mich in diese alte Kerbe.
Ich habe also doch eine Meinung. Eliza Ballesteros „inszenierte Realität“ ist für sich und mich eine gelungene Erzählung. Aber für mich auch ein wenig aus der Zeit gefallen, Butchers Coin ist Neunziger (für mich) , und daneben etwas zu schick.
Geht doch: Mit der persönichen Meinung, meine ich.
Aber: Ich bin nur ein Kunstgucker. Das ist alles nur eine, nämlich meine Meinung. Schauen Sie lieber selber. „Acht Mark“, sagt Mutter immer. Für acht Mark kann man schon machen, denke ich. Oder ordentlches Mitglied für 120 Mark. Das ist dann aber schon teuer.








