Kunstmesse der Schande (BILD), Antisemita 15 (Spiegel), Documenta der Verschlagenheit (FAZ). Nach den jüngsten antisemitischen Vorfällen auf der angesehenen Kunstschau schlagen die Herzen der Presse alle im gleichen Takt. Die documenta15 ist ein Skandal.
Stellungnahmen der Künstlergruppe Taring Pardi und Entschuldigungen der documenta Leitung und des Kuratorenteams werden kritisch und als nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Eine von der documenta initiierte Gesprächsrunde über Antisemitismus in der Kunst wird von der Öffentlichkeit, wenn überhaupt, dann nur als Ausrede wahrgenommen. Die documenta15 ist antisemitisch.
Claudia Roth wusste es schon immer, gut… ab Januar. Die Staatsministerin für Kultur setzte sich schon Anfang des Jahres für einen Expert:innen-Beirat ein. Gestern wie heute wehrt sich der Kassler Oberbürgermeister gegen diese Forderungen. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta und obersten Dienstherr der Kasseler ist ein solcher Beirat nahe an der Zensur und mit ihm nicht zu machen. Die documenta15 ist zerstritten.
Dabei hätte alles so schön sein können. Der feine „Herr Bundespräsident“ sollte mit lobenden Worten eine documenta15 eröffnen, die sozialer, politischer, verantwortungsvoller, queerer als ihre Vorgänger daherkommt. Eine documenta15, die in den krisengeschüttelten Zeiten Hoffnung gibt, die Vorurteile aufbricht, neue Werte aufzeigt.
Doch statt Lob gab es Belehrungen. „Verantwortung lässt sich nicht outsourcen“, sagte Steinmeier in Richtung des indonesischen Kuratorenteams. Er sprach zur Eröffnung aus, was viele dachten: Die offenen, experimentellen Strukturen haben das Problem erst verursacht. Die documenta15 ist chaotisch.
Und dann ist da noch die Kunst, die Künstler:innen, die sozialen Initiativen, Kunst -Kollektive, die sich über die Stadt verteilt haben. Die Kunstschauenden erkennen sie an ihrem Bändchen oder dem documenta-Shirt. Sie übersetzen weiterhin ihre Kunst im Kassler Stadtraum, reden mit den Besucher:innen über ihre Kunst, ihr Anliegen und auch über die antisemitischen Vorfälle. Die documenta15 ist künstlerisch.
Doch gegenwärtig stehen alle unter Generalverdacht. Sie sind ein Teil dieser „Kunstmesse der Schande“, eine der Säulen dieser Antisemita15. „So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ne, wirklich nicht“, sagen sie vielleicht. Seit Jahren nutzen sie ihre Kunst, um die Welt oder wenigstens ihre Nachbarschaft ein kleines bisschen besser zu machen und jetzt sind sie Teil des antisemitischen Problems, der Auguisstall, wie ein FAZ – Leserbrief die gesamte Lumbung Blase nannte, das Böse.
Die documenta ist böse.
Was denken die Künstler:innen, die eingeladenen Kunstschaffenden? Sie, die nach einem neuem Kunstbegriff suchen, einer Kunst -Theorie, einer Praxis jenseits des Kunst-Jetsets der von Biennale zu Biennale jagt, jenseits vom Kunstmäzenatentum und Genie-Verehrungen ( )? Ja, was denken sie?
Die Besucher:innen der documenta treffen in Kassel auf Künstler:innen, die Kunst und Leben nie getrennt voneinander sehen, für die die Kunst die Menschen begleitet, ein Teil von ihnen ist. Sie reden von einer sozialer Kunst, die unterstützt, hilft, rettet, aufklärt, Wissen generiert, vermittelt, speichert, lehrt oder einfach nur zuhört. Künstler:innen, die sich nicht als letzte Generation begreifen möchten, sondern sich aktiv um die Belange der Menschheit kümmern. Sie sprechen von der Kunst und vom Klimaaktivismus. Sie sagen: Wir sind die documenta15. Vielleicht sind wir nicht die Guten, aber ganz sicher sind wir nicht die Bösen. Die documenta15 ist gespalten.
Die Besucher:innen, die sich selber ein Urteil bilden wollen, sind ebenso gespalten. Zum Einen sollte Antisemitismus nirgends einen Platz haben und gerade in Deutschland sollten wir sensibel auf die Symbole reagieren. Hier war das Kuratorenteam sicher fahrlässig, bewusst oder unbewusst, die antisemitische Symbolsprache hätte nicht sein müssen. Zum Anderen sehen die Besucher:innen eine documenta, die sich gerade gegen Rassismus, Ethnozentrismus und auch Antisemitismus einsetzt, ihre Kunst dafür gebraucht, zu verbinden und nicht zu trennen.
Am Ende rattert es im kleinen Besucher:innen Hirn. Die Kunstgucker verwirrt. Auf der documenta wird ein neuer Kunstbegriff verhandelt. Die Gefahr ist sicher, dass die scharfe Trennung der Künstler:innen und Kurator:innen dieser documenta zum etablierten Kunstmarkt, zur Jetset Kunstszene, die Spaltung innerhalb der Kunst, aber auch der Gesellschaft nur noch verstärkt.
So wie es auf dieser documenta schwer ist, gut und böse voneinander zu trennen, so scheint sie in ihrem Dualismus von Gut und Böse fast ein Spiegelbild unser Gesellschaft, der gesamten Menschheit zu sein.
Trotzdem – auch wenn in diesen Zeilen wenig über die Kunst berichtet wird, die auf der documenta15 zu sehen ist – empfehle ich hinzufahren, sich selber mit der Kunst auf der documenta zu beschäftigen. Ich hatte gerade zweieinhalb wundervolle Tage in Kassel. Tage voller Kunst, Gedanken und Gespräche über die Kunst. Reiche Tage. Weil es für mich wenig besseres gibt, als mit lieben Menschen Kunst gucken und über Kunst zu debattieren.
Links zum Weiterlesen:
documenta15 – Internetauftritt, Tickets, Künstler:innen
Kunst-Jetset trifft auf Kunsttheorie – Artikel in der Monopol über einen Streit zw. Neo Rauch und Wolfgang Ulrich
Antisemitismus in der Kunst Podiumsdiskussion veranstaltet von der documenta und der Bildungsstätte Anne Frank
Kunstmesse der Schande Die BILD stellt das diesjährige Kuratoren Team auf der documenta als antisemitische Terrorgruppe dar.